
Die zeitloses Schönheit des Schicksals
von Eva Winterer
Die zeitloses Schönheit des Schicksals
Ein Bekenntnis zur Ewigkeit: Damla Turgut über die Ästhetik des Unvollkommenen, Langlebigkeit als oberstes Design-Prinzip und die unendlichen Gestaltungsmöglichkeiten für das Zuhause. Die Gründerin von Otto Tiles im Gespräch über ihr ganz persönliches Kismet.
von Eva Winterer
„Es beschreibt genau meinen Weg bis heute, was mir passiert ist", sagt Damla Turgut im Interview mit Silent Luxury über den Namen ihrer jüngsten Kollektion. „Ich habe nicht geplant, eine Designerin zu werden. Aber es musste wohl so sein." Kismet – in der Übersetzung Schicksal oder Bestimmung – hat somit für die Gründerin von Otto Tiles & Design eine besondere Bedeutung. Es ist der philosophische Anker ihrer Arbeit, die Schönheit des Ungeplanten, das schlussendlich oft Jahrhunderte überdauert.
Kismet und das matriarchalische Erbe
Die Idee für die Kollektion wurzelt in Çatalhöyük, einer der ältesten bekannten Siedlungen der Menschheitsgeschichte. Turgut fand in der neolithischen Zivilisation die Blaupause für ein Design, das die kraftvolle Rolle der Frau als ursprüngliche Kraft zelebriert.
Der Brückenschlag zur Machtverteilung im historischen Çatalhöyük verleiht dem Design eine außergewöhnliche emotionale Spannung: „Es wird angenommen, dass in dieser Zivilisation Frauen den Männern gleichgestellt waren." Die als UNESCO-Weltkulturerbe geschützte Siedlung war aus heutiger Sicht eine durchgängig egalitäre Gemeinschaft. „Diese Vorstellung einer weiblich mitgeprägten Gesellschaft hat mich zutiefst berührt. Ich wollte diese Stärke in eine visuelle Sprache übersetzen", erklärt Turgut ihre Inspiration.

Schicksal und Symbolik
Kismet verbindet bei Otto Tiles Geschichte mit Gegenwart. Jede handgefertigte Fliese trägt diese Philosophie in sich: Unvollkommenheit als Perfektion und Individualität als Luxus. „Jede unserer Kollektion hat eine besondere Geschichte", betont Turgut. „Es sind die besonderen Geschichten und ihre Verwobenheit, die mich zum Nachdenken anregen, aus denen ich die Inspiration für neue Designs nehme und sie in die Gestaltung von Räumen übersetze.”
Mit der Kismet-Kollektion knüpft Turgut an die kulturellen Wurzeln Anatoliens an. Wölfe und Fruchtbarkeitssymbole, einst in Höhlenwände geritzt, finden sich nun in modernen Badezimmern und Küchen wieder. Turgut harmonisert sie mit sanften Tönen wie Beige und Naturweiß: „Diese Symbole sind stark, sie brauchen Balance. Deshalb habe ich Flächen der Ruhe eingefügt, damit aus der Kraft ein harmonisches Ganzes wird. Für mich ist das die perfekte Unvollkommenheit."
Die Symobik interpretiert Turgut als eine Hommage an Frauen. „Das Muster ähnelt einer Frau und baut sich rund um sie auf. Es ist das Spiegelbild des Reichtums, den Frauen darstellen und der Natur”, beschreibt sie. „Die Inspirationen holte ich mir von den Höhlenmalereien, die ich bei der Besichtigung von Çatalhöyük sah, und von den Geschichten, die sie erzählen."
Die Ästhetik der Unvollkommenheit
Je mehr man sich in den Mustern verliert, desto bewusster wird das Besondere an Otto Tiles: das kalkulierte Abweichen vom industriell-maschinellen Perfektionismus, denn jede Fliese wird von Hand gefertigt. Das gibt ihnen ein unverkennbare Merkmal: Keine Fliese gleicht der anderen und jede entwickelt mit der Zeit eine Patina, die ihre Schönheit steigert. Turgut ist überzeugt: „Das erste Jahr ist nur der Anfang. Nach zehn Jahren haben diese Fliesen dann eine Seele, die kein industrielles Produkt je haben kann. Es ist ähnlich wie bei einem guten Wein: die Schönheit der Fliesen reift mit der Zeit."
Die Produktion folgt einer alten Tradition: Ton wird von Hand gemischt, Farben individuell abgestimmt, gemeinsam in Messingformen gegossen. Die hydraulische Presse – die einzige Maschine in diesem Prozess – verdichtet das Material. Das Ergebnis sind Fliesen mit einer auf Jahrzehnte ausgelegten Lebenserwartung. Und das sehr bewusst. Die Gründerin von Otto Tiles erklärt die Unternehmensphilosophie einprägsam: „Gerade in einer Zeit, in der alles schneller, glatter und austauschbarer wird, entstehen unsere Fliesen Stück für Stück von Hand. Sie tragen die Handschrift von Menschen, nicht den Stempel von Maschinen."
Der Anti-Trend-Ansatz
In einer Zeit der Wegwerfmentalität bietet Otto Tiles zeitlose Schönheit, die Generationen überdauert. „Ich folge keinen Trends. Trends sind erfunden, um zu verkaufen. Meine Fliesen sollen Jahrhunderte bestehen. Das bedeutet: Für eine Fliese, von der wir sagen, du kannst sie jahrhundertelang verwenden, kann es keinen Trend geben.", beschreibt Turgut. „Es geht darum, was dich anzieht. Es geht darum, wie du dich fühlst. Was macht dich glücklich?", fasst Turgut ihre Designphilosophie zusammen. „Mein einziges Ziel ist es, Menschen mit unseren Designs und Fliesen glücklich zu machen."
Hunderte Möglichkeiten, eine Kollektion
Ein weiters Merkmal der Marke: Die Kollektionen stehen für Wahl- und Gestaltungsfreiheit. Turgut betont den demokratischen Ansatz ihres Designkonzepts: Design wird zur Co-Kreation zwischen Handwerkern, Marke, Designern und Kunden. Dieses System ist Aus einer einzigen Kollektion entstehen durch Farbvariationen und Verlegemuster hunderte verschiedene Designs, vergleichbar mit einer maßgeschneiderten Couture für Boden und Raum.
Dieses System ist in seiner Einfachheit genial: „Mit denselben Fliesen kann man unzählige Designs schaffen, in dem man Farben anders zusammenstellt, Muster dreht, Layouts variiert. Jeder Kunde kann so ganz nach seinem persönlichen Geschmack dem Design seine eigene Note verleihen.", beschreibt Turgut die Flexibilität ihres Systems. Beige wird zu Kobaltblau, Terrakotta zu Mint. Jede Variation erzählt eine neue, persönliche Geschichte. Turgut kennt die Reaktionen der Kunde genau: „Viele sind erstaunt über die Zahl an Optionen, die sie haben mit einer Kollektion ihr Zuhause zu designen. Die Möglichkeiten sind endlos. „Wenn Sie hundert Quadratmeter haben, erhalten Sie ein Design, das sich komplett von dem eines anderen Kunden mit ebenfalls hundert Quadratmetern unterscheidet."
Globale Sprache
Otto Tiles selbst hebt geografische und kulturelle Grenzen auf. Die Fliesen sprechen eine universelle Sprache der Schönheit, die Menschen in London genauso berührt wie in Istanbul oder Miami. „Ich glaube, sie sind buchstäblich wie ich", beschreibt Turgut ihr Design-Konzept. „Sie sind mit Gewürze von allem verfeinert. Ich bin Türkin, westlich geprägt. Und so wie ich tragen meine Designs östliche und westliche Elemente in sich." Ihre Kunden bestätigt diese kulturelle Brückenfunktion: „Westliche Betrachter entdecken das östlich-mediterrane Ornamenthafte, östliche Betrachter die westliche Klarheit.“
Diese kulturelle Synthese macht Otto Tiles zu einem wahrhaft globalen Design-Phänomen: Fliesen, die Ost und West, Tradition und Moderne, Handwerk und zeitgenössische Ästhetik vereinen.
Die Stimme der Gründerin
Der Erfolg von Otto Tiles ist untrennbar mit der entschlossenen Persönlichkeit von Damla Turgut verbunden. Ihr Weg aus der Rechtswissenschaft in die Domäne des Designs und der Produktion ist immer wieder ein Reflexionspunkt für sie: „Ich muss mich wirklich immer wieder daran erinnern, wer ich bin. Denn manchmal vergessen wir am Weg, wie weit wir es geschafft haben", reflektiert die Gründerin mit entwaffnender Ehrlichkeit. Dies schließt den Kreis zum historischen Kismet-Narrativ. Sie ist die moderne Verkörperung der weiblichen Kraft, die sie in ihren Designs feiert.