
Wo die Vergangenheit ein Zimmer nimmt
von Eva Winterer
Wo die Vergangenheit ein Zimmer nimmt
Ein bewohnbares Liebesgedicht: Im Fiermonte Museum in Lecce verschmelzen Ausstellung, Hotel und Geschichte zu einem bewohnbaren Raum. Vier Suiten greifen das Leben von Antonia Fiermonte auf und laden zum Aufenthalt zwischen Kunst, Architektur und Erinnerung ein.
von Eva Winterer
Es gibt Geschichten, die enden nicht, sie verwandeln sich. Sie ziehen von einem Haus ins nächste, von einer Seele zur anderen, bis sie einen Ort finden, an dem sie bleiben können. Die Geschichte von Antonia Fiermonte ist eine solche Erzählung. Eine Saga aus Kunst, Liebe und radikaler Selbstbestimmung, die in Lecce, im Herzen von La Fiermontina, ihre neue Heimat gefunden hat, ihre Türen öffnet und zu einem bewohnbaren Raum macht.
Brüder im Geiste, Rivalen im Herzen
Ein Garten in Fontenay-aux-Roses, südlich von Paris. Zwei Bildhauer, Haus an Haus, verbunden durch Freundschaft und das gemeinsame Ringen um die Form. René Letourneur und Jacques Zwobada teilten seit den 1920er-Jahren Atelier und Aufträge. Sie waren Brüder im Geiste, bis eine Frau in ihr Leben trat, die alles verändern sollte: Antonia Fiermonte.
Geboren 1914 in Apulien, war Antonia eine Erscheinung – Malerin, Geigerin, eine Frau von stiller Intensität. In den 1930er-Jahren zog sie nach Rom, wo sie den etablierten Bildhauer Letourneur kennenlernte. Es war, wie man sagt, Liebe auf den ersten Blick. Sie wurde seine Muse, seine Frau, die Mutter seiner Tochter Anne. Gemeinsam zogen sie nach Paris, in jenes Haus, das an das von Jacques Zwobada grenzte.
Der Sprung über den Garten
Die Freundschaft der beiden Männer wurde durch Antonias Ankunft auf eine harte Probe gestellt. Zwobada, der jüngere, kompromisslose Künstler, war von ihr fasziniert. In einem seiner unzähligen Briefe erinnerte er sich an den Moment, als sie sein Haus zum ersten Mal betrat, gekleidet in ein blaues Kleid: „Ab diesem Moment veränderte sich die Welt.“
Was folgte, war ein zweijähriges Werben, eine Obsession in 1.001 Briefen, die sich in Zwobadas Kunst manifestierte. Seine berühmte Skulptur La Verticale ist ein Denkmal dieser Sehnsucht – eine Figur, die himmelwärts strebt, getrieben von einer Liebe, die nur in Antonias Nähe zur Ruhe kam.
Schließlich „übersprang Antonia den Garten“, wie es in der Familie heute liebevoll heißt. Sie verließ Letourneur und wählte Zwobada. Ein Skandal in der damaligen Zeit, doch für die beiden der Beginn einer tiefen künstlerischen und seelischen Allianz. Die Rivalität der Freunde zerbrach ihre einstige Nähe, doch die Geschichte war noch nicht zu Ende. Antonias plötzlicher Tod 1956 mit nur 42 Jahren hinterließ eine Leere, die die beiden Männer Jahre später wieder zusammenführen sollte – vereint im Schmerz um die Frau, die das Zentrum ihrer Welt gewesen war.
Das Fiermonte Museum: Ein Haus der Erinnerung
Genau diese Geschichte von Freundschaft, Liebe, Bruch und Versöhnung wird nun in Lecce greifbar. Mit dem 2018 eröffneten Fiermonte Museum haben Antonias Enkel, Giacomo und Antonia Filali, einen Ort geschaffen, der mehr ist als eine Ausstellung. Es ist ein Haus, dessen Motto „The Heart of Time“ lautet – ein Zuhause für die Erinnerung.
Gäste betreten nicht nur ein Museum, sondern die Chronik einer Ménage-à-trois der Künste. Die Räume tragen Namen wie „Love at first sight“, „Obsession“ oder „Reconciliation“, und führen die Besucher durch die emotionalen Kapitel dieser Biografie. Man begegnet den neoklassischen Frauenkörpern Letourneurs, spürt die fiebrige Intensität in Zwobadas Briefen und sieht die gegenseitigen Porträts, die Antonia und Jacques voneinander schufen – Zeugnisse einer Liebe auf Augenhöhe.
Das Museum selbst ist ein architektonisches Meisterwerk, das historische Bausubstanz mit einem markanten Cortenstahl-Treppenhaus verbindet. Der Weg führt durch neun Räume und einen geheimen Garten, in dem die Skulpturen der beiden Künstler zwischen hundertjährigen Mispeln und Araukarien ruhen. Hier, unter dem apulischen Himmel, scheinen Kunst und Natur den Dialog fortzusetzen, den sie einst in Fontenay-aux-Roses begannen.
Die Suiten: Wo Geschichte wohnt
Die eigentliche Magie aber entfaltet sich in der Möglichkeit, diese Geschichte nicht nur zu betrachten, sondern sie zu bewohnen. Parallel zum Museum wurden exklusive Suiten eröffnet, die das narrative Konzept auf eine intime Ebene heben. Sie tragen Namen wie Suite Nocturne, Suite Peplum oder Suite Avant-Garde und sind inspiriert von den Materialien, Stimmungen und Kunstbewegungen, die das Leben der drei Protagonisten prägten.
Hier zu wohnen bedeutet, Teil der Erzählung zu werden. Man logiert dort, wo im Geiste einst Letourneur und Zwobada Haus an Haus lebten. Man blickt von der privaten Terrasse in einen Garten und sieht die Skulpturen, so wie es einst Antonia tat. Jede Suite wird zu einem Kapitel, das man für sich selbst öffnet. Die räumliche Erfahrung spiegelt Antonias Bewegung zwischen den Männern, zwischen den Künsten, zwischen Anpassung und Aufbruch wider.
Ein besonderes Privileg für die Gäste der Suiten: Nachts, wenn die Türen für die Öffentlichkeit geschlossen sind, können sie das Museum allein durchstreifen, nur mit dem Licht einer Taschenlampe. In dieser Stille, umgeben von den steinernen Zeugen einer großen Leidenschaft, wird die Geschichte zu einer fast meditativen Erfahrung.
Antonia: Die Emanzipation der Muse
Was am Ende bleibt, ist ein Bild, das die einfache Zuschreibung als Muse sprengt. Antonia Fiermonte offenbart sich als eine eigenständige Akteurin: eine Gastgeberin, die in ihrem Salon Intellektuelle versammelte und während der Besatzung Mitgliedern der Résistance Schutz bot. Eine Künstlerin, deren Selbstporträts eine Frau von unbeirrbarer Souveränität zeigen. Sie war der ruhende Pol und die treibende Kraft zugleich – eine Figur, die sich nicht in eine Rolle zwängen ließ.
Das Fiermonte Museum und die dazugehörigen Suiten sind somit die gelebte Fortsetzung dieser Erzählung, eine späte Heimkehr, die über eine reine Hommage hinausgeht. Sie schaffen einen Ort, der beweist, dass große Kunst und wahre Liebe nicht in der Vergangenheit erstarren, sondern zu einem Raum werden können, den wir betreten, bewohnen und mit unserer eigenen Gegenwart füllen. Ein Schatz, ein „Tesoro“, der hier für jeden geöffnet wird, der an die unsterbliche Kraft von Geschichten glaubt.
Insights
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Im Herzen von Lecce wird die Saga einer Familie zu La Fiermontina: eine Kollektion einzigartiger Hotels und Suiten, in denen ihre Kunst und Gastfreundschaft in einem "Albergo Diffuso" weiterleben.
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