
„Die vielen kleinen Dinge machen den Unterschied.“
von Eva Winterer
„Die vielen kleinen Dinge machen den Unterschied.“
Die Zukunft entsteht im Zyklus: Ein Gespräch mit Giuseppe Pagano, Gründer und Eigentümer von San Salvatore 1988, über das antike Erbe, die philosophische DNA, steile Anstiege, erneuerbare Energien und Kalokagathia.
von Eva Winterer
Photo: San Salvatore 1988
Man muss die Stille hören können, um Giuseppe Pagano zu verstehen. Es ist keine leere Stille, die über den steilen Weinbergen seines Weinguts San Salvatore 1988 liegt. Es ist eine Stille, die gefüllt ist mit dem Summen von Bienen, raschelnden Eidechsen, den Rufen der kreisenden Bussarde, dem leisen Wiederkäuen der 750 Büffel und dem fast unmerklichen, jedoch stets präsenten Flüstern einer 2.500 Jahre alten Geschichte.
Hier, im Cliento, südlich der Amalfi-Küste, scheint die Zeit einem anderen Rhythmus zu folgen. Es ist ein Rhythmus, den Giuseppe Pagano, Gründer und Eigentümer des Weinguts San Salvatore 1988 verkörpert. Ein Mann mit wachen Augen, der von dem Land erzählt, in dem seine Vision Realität wurde.
„Sehen Sie das?“, fragt er, als wir im ersten Stock des Unternehmenssitzes von San Salvatore 1988 in Giungano vor einer großen Glaswand stehen und Richtung Monte Calpazio blicken. „Alles hier ist ein Kreislauf“, beginnt er und seine Hand beschreibt einen weiten Bogen. „Dort die Biogasanlage, daneben die Silos. Und die Ställe, in denen unsere 750 Büffel leben. Sie geben uns nicht nur die Milch für den besten Mozzarella, sondern auch den Mist für unsere Energie.“
Respekt als Zukunftsvision
Was Pagano hier beschreibt, ist kein idyllisches Landleben, sondern ein perfekt geschlossener Kreislauf. Die Biogasanlage, kombiniert mit den Photovoltaikdächern, produzieren 2,4 Millionen Kilowattstunden pro Jahr. „Das ist exakt das Doppelte dessen, was wir als gesamtes Unternehmen – Weingut, Käserei, Hotels – verbrauchen“, erklärt er. „Selbst wenn wir den Energiebedarf unserer Lieferanten für Korken, Flaschen und Etiketten dazurechnen, bleiben wir im Plus.“
Daran zeigt sich die gelebte Philosophie eines Orts, den Pagano als „ethisches System“ begreift. Respekt ist das Wort, das immer wieder im Gespräch fällt: „Respekt ist die Grundlage von allem. Respekt für die Umwelt, die uns nährt. Respekt für die Tiere. Respekt für die Menschen, die mit uns arbeiten. Respekt für die, die unsere Produkte genießen - für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit.“
Doch es sind die vielen kleinen Details, die für Pagano den Unterschied ausmachen. Er meint: „Wer all diese Dinge macht, muss eine absolut positive Vision der Zukunft haben. Aber um Dinge gut zu machen, müssen wir auf die Details achten, ohne zu hetzen und doch schnell.“ Doch wie passt dies zur Slow Region?
Wie Anstiege Langsamkeit und Seele formen
Eines ist klar: Um den Cilento und seine Menschen zu verstehen, muss man tiefer graben. Den Kontext der Region Cilento begreifen.
„Man sagt, im Cilento verginge die Zeit langsamer“, beginnt Pagano und lehnt sich leicht zurück, als ob er eine alte Weisheit aus dem Boden ziehen würde. „Viele denke, wir Cilentani seien einfach langsam. Aber das ist nur die halbe Wahrheit.“ Er beschreibt ein Land, das seit jeher unwegsam war – imperivo. Steile Anstiege, gefährliche Abstiege. „Hier konnte nur überleben, wer sein Tempo an das Gelände anpasste. Wer versuchte, diese Berge auf Dauer im Sprint zu nehmen, dem hätte es früher oder später sprichwörtlich das Herz zerrissen.“
Diese erzwungene Entschleunigung schuf Raum für etwas anderes. Die Unwegsamkeit und die Armut hielt Eroberer fern und bewahrte so ein antikes Erbe: das griechische. „Der Cilento war arm“, so Pagano. „Es gab hier keine Reichtümer zu holen. Also bewahrten die Menschen die Traditionen. Es ist also kein Zufall, dass wir noch heute die DNA der griechischen Philosophie spüren.“
Die Philosophie als Kind der Notwendigkeit
Pagano erzählt die Geschichte der zwei griechischen Kolonien. Da waren die Siedler von Paestum, Bauern, die fruchtbares Land an der Flussmündung der Sele bewirtschafteten und ihre prächtigen Tempelanlagen aus lokalem Kalkstein bauten – der alle geschichtlichen Stürme überdauerte. Und da waren die Gründer von Elea, dem heutigen Ascea. Sie waren Fischer und suchten felsige Küsten und fischreiche Gewässer.
„Was taten diese Fischer, wenn im Winter die Stürme tobten und sie wochenlang nicht aufs Meer hinauskonnten?“, fragt Pagano rhetorisch. „Sie aßen ihren Fisch, reich an Phosphor, spazierten entlang des Meeres und begannen zu philosophieren.“ Aus diesen Spaziergängen entstanden die Lehren von Parmenides und Zenon, den Vorsokratikern. Eine Philosophie also, geboren als Kind der Notwendigkeit, des Müßiggangs und einer guten Ernährung. Eine DNA, die, so Pagano, bis heute in den Cilentani vorhanden ist: Die Fähigkeit, aus dem Wenigen etwas Wesentliche zu schaffen. Giuseppe Pagano selbst ist vielleicht der beste Beweis für seine Theorie.
Green Emblem: Der biodynamische Lebenszyklus
Rallenta. Cura. Memoria. Drei einfache Worte, die in Giuseppe Paganos Denken zentrale Prinzipien sind. Sie stehen für Entschleunigung, für Sorgfalt und für Erinnerung – nicht rückwärtsgewandt, sondern als Bewusstsein für Zeit, Zyklen und Herkunft. Aus diesen drei Begriffen entfaltet sich das Selbstverständnis des Unternehmens. Ohne Zeitdruck, folgt alles Zyklen: dem Rhythmus der Natur, Wachstum und Verantwortung.
Dieses System wurde 2023 mit dem Green Emblem von Robert Parker ausgezeichnet. Eine internationale Anerkennung für eine geringe Anzahl von Weingütern, die eine Vorreiterrolle in punkto Biodiversität, Biodynamik und ökologischer Verantwortung einnehmen. Doch Pagano spricht nicht über Auszeichnungen. Er spricht über Verantwortung und über Kalokagathia.
Insights
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Das Weingut arbeitet unter der Auszeichnung „Conduzione: Biologica“. Verwendet werden 100 % natürliche Düngemittel, kombiniert mit einer klaren Ausrichtung auf organische Bewirtschaftung. Diese Prinzipien gelten durchgängig – vom Weinberg über Viehhaltung und Molkereibetrieb bis hin zu den Obst- und Olivenkulturen.
Die Zahlen sprechen für sich:
165 Hektar eigenes Land im Nationalpark Cilento und Vallo di Diano, verteilt auf die Gemeinden Capaccio-Paestum und Giungano.
42 Hektar Weinberge in Lagen zwischen 200 und 750 Metern Höhe.
4 Hektar Obst, 15 Hektar Olivenbäume.
80 Hektar Ackerland für den Eigenbedarf der Büffel – Anbau von Weizen, Mais, Heu, Gemüse.
400.000 Flaschen Wein jährlich produziert.
2.400.000 Kilowattstunden Energie, davon 50 % eingespeist ins öffentliche Netz.
100 % biologische Bewirtschaftung, zertifiziert.
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Büffel finanzierten den Aufbau von San Salvatore 1988. Heute liefern sie die Energie für ein integriertes System aus Weinbau, Hotellerie und Landwirtschaft, das mehr produziert, als es selbst verbraucht.
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Elea ist eine Hommage an den Cilento und seine jahrtausendealte Geschichte. Hyele, die Wiege der eleatischen Schule – zuerst mit Parmenides, später mit Zenon.
Ein eleganter Weißwein, strukturiert, intensiv und meditativ – wie das Terroir, aus dem er stammt.
90 % der Gärung erfolgt im Edelstahltank, die restlichen 10 % in Barriques aus französischer Eiche (Erstbelegung).
Der Ausbau erfolgt für vierzehn Monate bei sehr niedriger Temperatur im Stahltank, anschließend ruht der Wein sechs Monate in der Flasche. 100 % Greco.
Details: San Salvatore 1988 Elea
Photo: San Salvatore 1988 -
Aus einem alten Terroir, in einem Weinberg im Schatten der Tempel von Paestum, im Herzen des Nationalparks Cilento, Vallo di Diano und Alburni, entsteht ein besonderer Rosé mit mediterranem Charakter.
Vetere San Salvatore 1988 ist Eleganz in Weinform – ein reinsortiger Aglianico, sechs Stunden lang kalt mazeriert und anschließend sanft gepresst. Der kurze Kontakt mit den Schalen dient einzig dazu, eine minimale Farbgebung sowie elegante, feine Aromen zu extrahieren. Im Glas zeigt er sich in einem zarten, hellen Roséton.Details: Vetere
Photo: San Salvatore 1988
Die Suche nach einem Wort für das Gute und das Schöne
Kalokagathia zieht sich als zentrales Motiv durch das Gespräch: die Suche nach dem einen Wort, das das Schöne und das Gute vereint. Pagano erzählt, wie er jahrelang nach einem Begriff suchte, der diese Einheit ausdrücken kann. Weder Freunde noch Gäste, weder Dialekte noch Fremdsprachen boten ihm eine Lösung. Bis er eines Tages in der Kirche saß und Don Carlo vom „il pastore bello e il pastore buono“ sprach – dem schönen und guten Hirten.
Nach der Messe fragte er ihn, ob es im Altgriechischen ein Wort für beides gäbe. Don Carlo antwortete: „Kalokagathia“. Ein Begriff, der im antiken Denken die vollkommene Einheit von Ästhetik und Ethik bezeichnet. Schönheit, die zugleich Güte ist. Und Güte, die nicht ohne Schönheit bestehen kann. Pagano war überwältigt, erzählt er. Für ihn war es mehr als eine sprachliche Erkenntnis – es war eine Bestätigung seines inneren Kompasses.
Er trug das Wort mit sich. Und es ließ ihn nicht mehr los. Als er später bei Sonnenuntergang vor dem Neptun-Tempel in Paestum stand, wurde ihm das Konzept bewusst: „Die Schönheit liegt in der Proportion, im Gleichgewicht. Das ist die äußere Form. Aber die wahre Güte liegt in der Dauer. Diese Tempel stehen seit 2.500 Jahren. Das ist Substanz.“ Kalokagathia wurde für ihn zum Schlüssel – für das eigene Handeln, für das unternehmerische Denken, für den Zugang zur Welt, der Dauer und Haltung miteinander verbindet.
Ein Name, der Geschichten trägt
Der Name „San Salvatore 1988“ ist mehr als eine Marke. Er ist eine Biografie. Salvatore – das war sein Vater. Von ihm lernte Pagano die Liebe zum Wein. Bis zum 18. Lebensjahr arbeiteten sie gemeinsam im Weinbau, doch dann musste sein Vater aus gesundheitlichen Gründen aufhören. Giuseppe und seine Brüder begannen im Tourismus zu arbeiten. „Man muss nicht immer das tun, was einem gefällt“, sagt Pagano. „Manchmal muss man das tun, was möglich ist – und lernen, es zu mögen.“
Der Zusatz „1988“ ist ebenfalls doppelt bedeutungsvoll: Es ist das Jahr, in dem Pagano heiratete. Und das Jahr, in dem sein Sohn Salvatore geboren wurde. Die beiden Achter im Logo liegen wie das Unendlichkeitszeichen. Ein Symbol für Kontinuität, für Zukunft und für Verantwortung über Generationen.
Büffeldiskussionen und Pflanzenzeichen
Für Pagano ist der Umgang mit Tieren keine technische Aufgabe. Jeden Morgen spricht er mit seinen jungen Büffeln. Er erklärt, was getan wird, warum es getan wird und wie. Manchmal stimmt eine junge Büffeldame nicht zu – dann wird diskutiert. Vielleicht klingt das spielerisch, aber es ist Ausdruck einer Haltung: Kommunikation, Respekt, Beteiligung. Auch mit Tieren.
Ein ähnlicher Zugang prägt seine Beziehung zur Landschaft. Oft geht er abends in die Weinberge. Eine Viertelstunde, allein, bei Sonnenuntergang. Danach weiß er, was zu tun ist. Nicht, weil jemand es ihm sagte – sondern weil die Pflanzen es zeigten. „Die Reben kommunizieren“, sagt er. „Zwar nicht mit Worten, jedoch mit Zeichen. Man muss nur lernen sie zu sehen.“
Im Gespräch über seine Weinberge veranschaulicht er, wie sich der Kreis im Cilento immer schließt: Etwa der Vigna di Stio, eines der Weingüter, das sich zwischen 600 und 750 Höhenmetern an den Berghang legt. Von dort aus sieht man bei klarem Himmel bis Capri. Und von dort kommt der Wein, mit dem die Unternehmensgeschichte begann. Die Trauben werden jedes Jahr von Hand gelesen, in kleinen Kisten, denn die Hänge sind sehr steil.
Kalokagathia – was wäre, wenn ...
Zum Abschluss unseres Gesprächs kommt Giuseppe Paganos philosophische DNA wieder hervor: „Ich frage mich oft, warum die modernen Sprachen kein Wort übernommen haben für Kalokagathia. Wenn es dieses Wort gäbe – wenn wir ein einziges Wort hätten, das das Schöne und das Gute vereint – wären wir gezwungen, anders zu denken. Wir würden lernen, dass beides möglich ist. Gleichzeitig. Und ich glaube, die Welt wäre ein Stück besser.“