Alleine mit Leonardos Dame mit Hermelin
von Alexia Weiss
Alleine mit Leonardos Dame mit Hermelin
Overtourism hat längst auch die großen Kunstmuseen dieser Welt ereilt. Vor Reisebeginn nicht rechtzeitig einen time slot gebucht? So manche Türen bleiben dann verschlossen. Es geht aber auch anders.
von Alexia Weiss
Wer möchte sie nicht einmal in seinem Leben gesehen haben: Die berühmte „Mona Lisa“ des Renaissance-Malers Leonardo da Vinci. Wer in letzter Zeit den Louvre in Paris besucht hat, weiß: das Vorabbuchen eines Tickets bewahrt einen zumindest vor dem langen Schlangestehen vor der markanten Glaspyramide.
Doch im Museum selbst bricht dann so etwas wie eine Schnitzeljagd aus: So mancher sucht diesen berühmten Palast der Kunst dieser Tage offenbar nur mehr auf, um dieses eine Bild zu sehen. Und geht dabei völlig achtlos an anderen Meisterwerken vorbei – wie etwa einer ganzen Reihe der berühmten Kopfcollagen von Giuseppe Arcimboldo, einem weiteren großen Vertreter der Renaissance-Zeit.
Wobei an dieser Stelle auch anzumerken ist: der Louvre hat schon bessere Zeiten gesehen. Verglichen mit ähnlichen Nationalmuseen wie dem Rijksmuseum in Amsterdam oder auch dem Kunsthistorischen Museum in Wien wirken die Räumlichkeiten renovierungsbedürftig und die Hängung vieler Gemälde erscheint lieblos. Auch das Kunsthistorische Museum in Wien verfügt über eine ganze Reihe von Arcimboldos naturnahen Porträts, die in der Dauerausstellung gezeigt werden, erst jüngst aber auch in einer fein kuratierten Sonderschau mit dem Titel „Arcimboldo – Bassano – Bruegel. Die Zeiten der Natur“ zu sehen waren.
Während man in Wien also auch bewusst ins Museum geht, um einen Arcimboldo zu sehen, rast das Gros der Touristinnen und Touristen im Louvre an den berühmten Köpfen vorbei, nur Ausschau haltend nach dem nächsten Hinweis, wo es zu jenem Raum geht, in dem die „Mona Lisa“ hängt. Je näher man diesem kommt, desto lauter der Geräuschpegel. Und endlich angekommen, dann heißt es warten, bis man an der Reihe ist, um dann im Eilzugstempo an diesem einen Bild in großem Abstand, weil: Sicherheit! Diebstahls- und Beschädigungsgefahr! rasch, rasch vorbeizugehen.
Ich habe die „Mona Lisa“ - sie hieß eigentlich Lisa Gherardini, war aus einer wohlhabenden Familie aus Florenz und heiratete den reichen Seidenhändler Francesco del Giocondo - in meinen Studentinnentagen in den 1990er Jahren zum ersten Mal gesehen. Damals hing sie noch gänzlich ungeschützt an der Wand, man war zwar auch damals schon enttäuscht, wie klein dieses berühmte Gemälde eigentlich ist, aber man konnte sich doch den Pinselstrich genau ansehen, sich in die Details vertiefen, mehrmals vor dem Bild hin- und hergehen, um zu prüfen, ob die italienische Berühmtheit aus dem 16. Jahrhundert einem nun tatsächlich mit den Augen folgt oder nicht.
All das ist heute nicht mehr möglich. Und doch machen sich täglich Menschen auf den Weg in den Louvre um sie zu sehen – und nur sie. Und dann ist diese wichtige Sehenswürdigkeit auch schon abgehakt und weiter geht es, nach Versailles zum Beispiel. Dort heißt es wieder: Schlangestehen, durchgetrieben werden. Overtourism at its worst.
Es geht aber auch anders. Leonardo da Vinci schuf ein weiteres, heute wertvolles Frauenporträt: „Die Dame mit Hermelin“. Etwas früher als „Mona Lisa“, nämlich schon Ende des 15. Jahrhunderts entstanden, zeigt es eine andere Italienerin: Cecilia Gallerani, eine junge Adelige und Geliebte von Ludovico Sforza, Herzog von Mailand. Dieses Gemälde gilt deshalb als Meisterwerk, weil Leonardo hier nicht nur das Aussehen der Porträtierten einfing, sondern auch einen Moment einer inneren Regung.
Zu sehen ist „Die Dame mit Hermelin“ heute im Czartoryski-Museum in der polnischen Stadt Krakau. Die dort präsentierte Sammlung ist viel kleiner als jene im Louvre, die Präsentation aber wesentlich engagierter. Wie auch im Rijksmuseum stellt man im Czartoryski-Museum Kunstgegenstände verschiedener Gattungen nebeneinander aus: das vermittelt einen wesentlich umfassenderen Blick auf frühere Zeiten. Porzellan, Mode, Gemälde: hier wird nach Epochen präsentiert und nicht nach Materialien und Kunsttechniken unterschieden.
Was in diesem kleinen Haus aber auch beeindruckt: die weitgehende Stille. In Krakau besuchen die eiligen Besucher und Besucherinnen die Altstadt mit ihrem pittoresken mittelalterlichen Marktplatz und der Marienkirche, das jüdische Viertel Kazimierz, das Wawel-Schloss und vielleicht auch das Museum Oskar Schindler – er hat in der NS-Zeit an die 1.200 Juden und Jüdinnen das Leben gerettet und ihm hat Steven Spielberg mit „Schindler’s Liste“ ein filmisches Denkmal gesetzt. Kaum einer verirrt sich aber in das Czartoryski-Museum.
Und so bietet dieses Haus die Möglichkeit, nicht nur rasch, rasch an einem Leonardo da Vinci vorbeizugehen, sondern sich vor der „Dame mit Hermelin“ sogar hinzusetzen und das Gemälde Detail für Detail zu betrachten und zu studieren. Eine halbe Stunde, eine Stunde oder länger. Hier gibt es die Ruhe und die Zeit, sich in ein Meisterwerk der Kunstgeschichte so lange zu vertiefen, wie man das möchte. Und dafür ist es nicht einmal nötig, im Vorfeld des Museumsbesuchs einen time slot zu reservieren. Die Auseinandersetzung mit Kunst kann für Entschleunigung sorgen, dazu braucht es aber auch Entschleunigung bei der Kunstbetrachtung. In Häusern wie dem Czartoryski-Museum ist das möglich.