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Photo: Faruta

Der Flug der Kraniche

Kraniche sind in Japan das Symbol für Langlebigkeit und Treue – in Marina Furutas Händen setzen sie ihren Flug fort. Mit ihrem Label FARUTA macht sie aus Vintage-Kimonos tragbare Kunstwerke mit Seele. Im Sinne der Couture Régénérative entstehen Meisterwerke des Upcyclings, die Hochzeitsgewänder zu modernen Design-Ikonen verwandeln.

von Ella Carlucci

7. September 2025

Eine Kunstsammlerin in New York trägt Kirschblüten zur Vernissage. In den Londoner Straßen wandeln Kraniche über zeitgenössische Silhouetten. Ein Chrysanthemenmuster schmückt den Mantel einer Galerienbesucherin in Wien. Was diese Frauen verbindet, sind jahrhundertealte Seidenfäden, die einst Hochzeiten in Kyoto zierten und Teezeremonien in Japan begleiteten.

Die Symbole sind dieselben geblieben, Kirschblüten für die Vergänglichkeit der Schönheit, Kraniche für ewige Liebe, Chrysanthemen für kaiserliche Perfektion und Reinheit, Wellen als Symbol der Ruhe. Nur ihre Bühne hat sich gewandelt: von den stillen Tatami-Matten japanischer Häuser in die pulsierende Welt der internationalen Kunstszene.

Hinter dieser poetischen Verwandlung steht eine Frau, die in ihrem Londoner Atelier eine jahrhundertealte Philosophie praktiziert: Marina Furuta. Aus traditionellen, bereits getragenen Vintage-Kimonos entstehen in ihren Händen moderne Mäntel und Jacken, die jahrhundertealte Handwerkskunst in die Gegenwart überführen. Ihre Arbeit steht beispielhaft für eine neue Generation der Couture, jene der „Couture Régénérative". Es ist eine Form der Couture, die bestehende Ressourcen respektvoll transformiert, anstatt neue zu verbrauchen und die Geschichten der Produkte weitererzählt.

Als Japanerin mit langjähriger Auslandserfahrung erkannte Furuta das wachsende westliche Interesse an japanischer Ästhetik und die gleichzeitige Herausforderung, traditionelle Kimonos in moderne Garderoben zu integrieren. Ihr Designansatz ist seit 2019 am Markt und signiert und dem Namen FARUTA. Die angewandte Methodik speichert ein gesellschaftliches, kulturelles und historisches Archiv in sich und leitet eine respektvolle Transformation von Vintage-Kimonos in zeitgemäße, designorientierte Mode über.

Mottainai - die japanische Kunst des Niemals-Wegwerfens

Furutas Arbeit wurzelt tief im japanischen Konzept Mottainai (もったいない). Dieses Konzept geht weit über das westliche Verständnis von Nachhaltigkeit hinaus und umfasst die tiefe Wertschätzung für alle Ressourcen und Lebewesen, die zum Entstehen eines Objekts beigetragen haben: die Zeit der Seidenraupe beim Spinnen ihres Kokons, die jahrzehntelange Meisterschaft des Webers, die kreative Vision des Designers und die liebevolle Pflege eines Erbstücks einer Familie über Generationen hinweg.

So erkennt diese Philosophie in jedem Kimono einen komplexen Kosmos aus Geschichten, Fertigkeiten und emotionalen Verbindungen. Ein Gewand zu verschwenden würde bedeuten, all diese kostbaren Beiträge zu missachten. Man kann sagen, dass Furuta im Einklang mit dieser Lebenseinstellung jeden Aspekt des kulturellen Erbes eines Kimonos wertschätzt und ihn respektvoll in eine neue Lebensphase überführt.

FARUTA praktiziert damit „Couture Régénérative" im reinsten Sinne: Die Regeneration bestehender Handwerkskunst für eine neue Ära. Anstatt neue Ressourcen zu verbrauchen, werden vorhandene Textilschätze mit zeitgenössischen Schnitt- und Tragetechniken neu interpretiert.

Wovon Kraniche, Kois, Chrysanthemen und Kirschblüten erzählen

Die visuelle Sprache der Kimonos entwickelte sich über tausend Jahre japanischer Textilgeschichte. Während der Edo-Zeit (1603-1868) verfeinerten Handwerker ihre Färbe- und Webtechniken zu außerordentlicher Perfektion. Beginnend mit dem 20. Jahrhundert und vor allem in den letzten beiden Jahrzehnten schrumpft die traditionelle Kimono-Produktion. Gleichzeitig liegen in japanischen Haushalten unzählige dieser Textilschätze verwahrt. Und genau hier beginnt Furutas Mission.

Jeder Kimono trägt eine codierte Botschaft in sich. Diese visuellen Codes verwandeln jeden Kimono in eine tragbare Philosophie, eine textile Meditation über Leben, Zeit und Schönheit und repräsentieren die Trägerinnen und Träger.

Die Symbolik folgt einem ausgeklügelten System, das sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Koi-Karpfen (鯉) stehen für Ausdauer und die Überwindung von Hindernissen. Es ist eine, einer chinesischen Legende angelehnte Metapher, wonach ein Koi, der einen Wasserfall hinaufschwimmt, zum Drachen wird.

Kraniche (鶴, Tsuru) symbolisieren Langlebigkeit und eheliche Treue, da sie lebenslange Partnerschaften eingehen. Das Seigaiha-Wellenmuster (青海波) repräsentiert Ruhe, die ewigen Zyklen des Lebens und die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft.

Chrysanthemen-Motive (菊, Kiku) sind das Symbol der kaiserlichen Familie. Chrysanthemen sind eng mit der japanischen Kaiserfamilie verbunden, da sie deren Wappenblume ist und das kaiserliche Siegel Japans eine stilisierte Chrysantheme mit 16 Blütenblättern zeigt. Der japanische Kaiserthron wird daher auch als „Chrysanthemen-Thron" bezeichnet. Sie stehen für Perfektion und Reinheit und zeigen zugleich den Herbst an.

Kirschblüten (桜, Sakura) verkörpern die Vergänglichkeit der Schönheit und erinnern an die buddhistische Lehre der Mono no Aware, das bittersüße Bewusstsein für die Flüchtigkeit aller Dinge.

Wie man Seide verwandelt, ohne ihre Seele zu verletzen

Furuta bezeichnet ihre Kimonos als „kostbare Kinder", ein Ausdruck, der ihre fürsorgliche Herangehensweise verdeutlicht. Jedes Stück wird wie ein Lebewesen behandelt, dessen Geschichte und Integrität gewahrt werden soll. Die Auswahl erfolgt dabei nach strengsten Kriterien: Nur Kimonos, deren Seide noch ihren ursprünglichen Glanz besitzt und deren Färbung unversehrt ist, werden für die Transformation ausgewählt. 

Viele ihrer Stücke stammen aus der Taishō-Ära (大正時代, 1912-1926) oder der frühen Shōwa-Zeit (昭和時代, 1926-1989), Epochen, in denen die traditionelle japanische Textilkunst noch einmal eine große Blütezeit erlebte. Diese historischen Gewänder zeigen oft traditionelle Färbetechniken wie Shibori (絞り), bei der der Stoff vor dem Färben kunstvoll abgebunden wird, oder die aufwendige Yūzen-Technik (友禅) mit ihren charakteristischen Motiven. Ein traditioneller Kimono besteht aus acht geraden Stoffbahnen, den sogenannten Tan (反), die mit millimeterpräzisen Nähten zu einem harmonischen Gesamtwerk verbunden werden -- eine Struktur, die Furuta bei ihren Transformationen respektvoll berücksichtigt.

Acht Stoffbahnen auf dem Weg in ein neues Leben

Respektvolle Modifikation: Im Gegensatz zur Massenproduktion wird jeder Kimono als Unikat behandelt. Die Anpassungen erfolgen mit traditionellen japanischen Nähtechniken, die es ermöglichen, die ursprüngliche Struktur und den charakteristischen Saum zu bewahren. Die Länge wird typischerweise um 20-30 Zentimeter verkürzt, der Schnitt für westliche Tragegewohnheiten angepasst.

Design durch Material: Ein grundlegender Unterschied zur konventionellen Modeproduktion: Bei FARUTA bestimmt das vorhandene Material das Design, nicht umgekehrt. Ein prägnantes Blumenmuster auf dem Rücken eines Kimonos wird zum zentralen Element des neuen Stücks. Die Beschränkungen des vorhandenen Materials führen zu minimalistischen Designs, die die natürliche Schönheit der historischen Seide betonen.

Zero-Waste-Prinzip: Nach den Modifikationen bleiben Stoffreste übrig, die vollständig weiterverwendet werden. Diese werden zu funktionalen Taschen, den sogenannten „Furoshiki-Bags" (風呂敷バッグ), die der Aufbewahrung dienen und gleichzeitig eine emotionale Verbindung zwischen dem neuen Kleidungsstück und seiner ursprünglichen Form schaffen.

Jedes Stück erzählt seine Herkunft

Jede FARUTA-Jacke kommt mit einem Herkunftsnachweis, der Informationen über Alter, ursprüngliche Verwendung und Technik des Kimonos enthält. Kunden erfahren, ob ihre Jacke aus einem Hochzeits-Kimono oder einem Alltagsgewand entstanden ist, welche Motive sie trägt und aus welcher Epoche sie stammt. Diese Transparenz verwandelt jeden Kauf in eine kulturelle Bildungsreise und schafft eine tiefe emotionale Verbindung zwischen Träger und Kleidungsstück.

Vom Hochzeitskleid in Kyoto zum Galerienbesuch in Manhattan

Die Kimonos, die Furuta verwendet, wurden einst für besondere Anlässe genäht -- für Hochzeiten, Teezeremonien oder Neujahrsfeste. Durch ihre Transformation erhalten sie eine neue Funktion in einer anderen Zeit, für andere Menschen, in anderen Städten. Die Seidenfäden, die möglicherweise einmal eine Zeremonie in Kyoto schmückten, werden heute von einer Kunstliebhaberin in London oder einer Sammlerin in New York getragen.

Diese geografische und zeitliche Wanderung verleiht jedem Stück eine zusätzliche Dimension mit einer besonderen Bedeutung. Denn dieses innovative und beinahe philosophisch wirkende Konzept in Form eines FARUTA-Kimonos verwebt die ursprüngliche Symbolik seines Daseins in sich mit der Geschichte seiner Reise durch verschiedene Hände, unterschiedliche Kulturen und über Kontinente hinweg.

So werden die, von der Designerin transformierten Kimonos zusätzlich zu ihren sprechenden Designs um eine weitere Symbolik reicher. Ihre Arbeit zeigt, wie zeitgenössische Mode Geschichte bewahren und gleichzeitig neue Geschichten schreiben kann.

Die Geschichte jedes FARUTA-Mantels ist die Geschichte einer kontinuierlichen Metamorphose: Seidenfäden, die über Jahrhunderte verschiedene Formen angenommen haben, verschiedene Menschen gekleidet und verschiedene Momente begleitet haben. In Furutas Händen setzen sie ihre Reise als lebendige Zeugnisse einer Kultur fort, die durch respektvolle Innovation in die Moderne getragen wird. Mit dieser Philosophie als Basis entstehen in ihrem Londoner Atelier Kleidungsstücke, die ein neues Kapitel der jahrtausendealten Geschichte japanischer Textilkunst fortschreiben.

Jedes upgecycelte und neu komponierte Stück trägt die DNA seiner ursprünglichen Bestimmung in sich und erhält gleichzeitig neue Relevanz in der globalisierten Welt. Die Kirschblüten auf einem Mantel erzählen noch immer von Vergänglichkeit und Schönheit, Kraniche von Langlebigkeit, Chrysanthemen von Perfektion und Reinheit, Wellen von Ruhe. Die Orte, wo sie es tun, haben sich geändert: Furutas Designer-Kimonos erzählen darüber in den Straßen Londons, den Galerien New Yorks oder den Cafés Wiens. Jeder Kimono in seiner zweiten oder dritten Lebensphase ist ein Beweis dafür, dass Schönheit zeitlos ist. Sie braucht manchmal vielleicht nur eine neue Form, um in der neuen Epoche die dem Zeitgeist entsprechende Wirkung zu entfalten.