
„Jede Komplikation verdient ihre eigene Bühne“
von Eva Winterer
„Jede Komplikation verdient ihre eigene Bühne“
Ein Gespräch mit Olivier Gantenbein, Global Associate Director Haute Horlogerie, Bucherer AG, über Meisterwerke, Innovation, Präzision und dem Mut zum Außergewöhnlichen.
von Eva Winterer
Photo: Elin Anderegg
Olivier Gantenbein verantwortet bei Bucherer 1888 die Auswahl und strategische Entwicklung der Masterworks-Kollektion – eines der spannendsten Portfolios unabhängiger und etablierter Uhrenmarken , das handwerkliche Exzellenz mit Innovationskraft verbindet. Im Interview gibt er Einblick in die feinen Unterschiede mechanischer Komplikationen, das Zusammenspiel von Technik, Ästhetik sowie Präzision und spricht über seine persönliche Beziehung zur Uhrmacherei.
Silent Luxury (SL): Wie alles begann. Was war ihre Motivation in die Uhrmacherei zu gehen.
Olivier Gantenbein: Die Uhrmacherei war von Anfang an ein Teil meines Lebens. Mein Großvater war in der Uhrenindustrie tätig und führte eine eigene kleine Marke . Schon als Kind zog mich alles an, was exakt und präzise war. Den entscheidenden Impuls gab schließlich meine Mutter: Sie schlug vor ich sollte doch einmal in eine Uhrmacherei schnuppern gehen. Es war sofort klar, das passt. Die Leidenschaft hatte mich gepackt. So begann 2010 meine Karriere mit einer 4-jährigen Ausbildung zum Uhrmacher.
SL: Was hat sie besonders fasziniert? Gab es spezielle Momente
Gantenbein: Es ist die Faszination, dass man nach dem Zusammensetzen der Teile sofort sieht, ob etwas funktioniert – also ob die Uhr läuft oder nicht. Dieses unmittelbare Ergebnis, diese Klarheit motiviert mich bis heute.
“Technik und Kunst gehen bei einer Uhr Hand in Hand.”
SL: Worauf achten Sie persönlich, wenn sie ein neues Modell anprobieren?
Gantenbein: Zuerst zählt der Gesamteindruck. Ich achte auf die Aussagekraft der Uhr, auf ihre technische Raffinesse und natürlich ihre Ästhetik. Dann geht es um die Details. Nach diesem Prinzip gliedern wir auch bei Bucherer Masterworks nach Themen: in Tourbillons, Ewige Kalender, Open-Work, Independents oder auch Gem-Set-Uhren.
SL: Masterworks, also Meisterwerke, sind in der Wahrnehmung immer eng mit Kunst verbunden. Wo endet bei einer Uhr die Technik und wo beginnt die Kunst?
Gantenbein: Technik und Kunst gehen bei einer Uhr Hand in Hand. Es ist dieser fließende Übergang, der die Balance zwischen beiden schafft. Es gibt Modelle, bei denen die technische Raffinesse überwiegt. Andere hingegen leben von ihrer Ästhetik und kunsthandwerklichen Veredelung. Beides hat seine eigene Qualität.
SL: Was ist für Sie eine technische Raffinesse?
Gantenbein: Das ist etwa der ewige Kalender, dem Tourbillon oder die retrograde Jumping Hour bei der “Sphere”“ von Hautlence, deren Stundenanzeige auf einer Kugel sitzt, sie sich jede Stunde um 450 Grad dreht.
Foto: Hautlence
SL: Bedeutet Haute Horlogerie also höchste Handwerkskunst?
Gantenbein: Absolut. Diese Uhren sind mehr als Zeitmesser. Sie sind rare Kunstwerke, entstehen in sehr kleinen Serien und sind entsprechend exklusiv.
“In der Feinabstimmung der Details zeigt sich: Hier war ein Meister am Werk.”
SL: Wie passen diese, doch eher klassischen Masterworks-Kriterien in dieses Verständnis?
Gantenbein: In unseren Kundengesprächen merken wir, dass viele Kundinnen und Kunden, abseits der Uhrenenthusiasten, die genaue Funktionsweisen einzelner Komplikationen noch nicht kennen. Genau deshalb setzen wir bei diesen klassischen Themen an und starten von diesen die Entdeckungsreise. Denn schlussendlich verdient jede Komplikation ihre eigene Bühne.
SL: Sind es die Bühnen, die Sie mit Masterworks bieten?
Gantenbein: Ja, darum geht es. Der bereits erwähnte ewige Kalender beeindruckt mit seiner mechanischen Komplexität. Open-Work-Modelle zeigen durch ihre Transparenz jede Nuance der Finissage. Das Tourbillon ist ein mechanisches Schauspiel, das man direkt am Handgelenk betrachten kann. Und in der Kategorie Independents verbinden sich innovativer Spirit, gewagtes Design und handwerkliche Exzellenz zu Meisterwerken.
SL: Als Kriterien, die wahren Luxus ausmachen, treten wieder verstärkt Qualität und Handwerk ins Blickfeld. Woran erkennt man Qualität und Handwerk bei Uhren?
Gantenbein: In der Uhrmacherei spielen Qualität, Handwerk und Präzision untrennbar zusammen, denn nur wenn alle Teile harmonisch ineinandergreifen, funktioniert das Uhrwerk. Im Detail zeigt sich die Qualität einer Uhr etwa in der Präzision der Mechanik, in der Feinabstimmung der Details und an der Finissage – wie etwa der Angelage, einer mehrstündigen Hochglanzpolitur der Kanten. Solche Merkmale verraten: Hier war ein Meister am Werk. Handwerkskunst bedeutet genau dieses Zusammenspiel, in dem jedes Teil präzise ausgeführt und, jede Oberfläche perfektioniert ist. In Summe also der Mechanismus auf höchstem Niveau arbeitet.
Foto: Bucherer
SL: Wie führen Sie Newcomer an die Welt der Präzision heran?
Gantenbein: Als Experten erklären wir Newcomern was Haute Horlogerie oder ein bestimmtes Modell besonders macht. Bei H.Moser & Cie, die rund 4.000 Uhren pro Jahr inklusive der Spiralen selbst fertigen oder bei Hautlence mit etwa 150 Uhren pro Jahr und manche Modelle nur 28 Uhren pro Jahr, gehen wir, auf das verwendete Material, ein. Mit der Lupe zeigen wir die Details der Mechanik, wie etwa die Mechanik hinter der Stundenkugel oder wie ein Kalender unterschiedlich lange Monate korrekt anzeigt.
SL: Neben der mechanischen und gestalterischen Kompetenz der Haute Horlogerie, was braucht es noch, um sich an solche Meisterwerke zu wagen?
Gantenbein: Auf jeden Fall braucht es sowohl bei der Herstellung als auch im Verkauf eine Prise Mut. Einerseits Kundinnen und Kunden, die Freude an technologischer Tiefe mitbringen und zu schätzen wissen. Andererseits unsere Expertise, sie von einem klassisch-traditionellen Modell zu einem gewagteren Stück zu führen. Es ist die Bereitschaft für diese Meisterwerk zu öffnen, selbst wenn auf den ersten Blick nicht klar ist, welche Komplikationen es im Detail zeigt oder in welchem Preissegment wir uns bewegen. Für mich persönlich ist das die Essenz von Quiet Luxury.
Foto: Bucherer
SL: Quiet oder Silent Luxury und Haute Horlogerie, wie geht das zusammen? Und wann ist eine Uhr für Sie Silent Luxury?
Gantenbein: Haute Horlogerie wird dann zu Silent Luxury, wenn sie nicht nach Aufmerksamkeit sucht, sondern Understatement kultiviert. Wenn man nicht von weitem erkennen muss, was man am Handgelenk trägt – sondern nur jene, die wirklich hinsehen (und verstehen), wissen, was sie vor sich haben. Ein wunderbares Beispiel dafür ist H. Moser & Cie. – eine Marke, die es sich teils erlaubt, auf ein Logo auf dem Zifferblatt zu verzichten. Mehr Zurückhaltung geht kaum. Und doch sprechen das Zifferblatt, das Gehäuse, das Werk und der Gesamtauftritt eine absolut klare Sprache: das ist hohe Uhrmacherkunst.
“Ich ziehe mechanische Handaufzugsuhren nie ganz auf. Es macht mir Freude, immer wieder an der Krone zu drehen und zu hören wie die Räder ineinandergreifen, das Federhaus sich aufzieht und die Feder sich spannt.”
SL: Sie haben bereits mehrfach von Innovation gesprochen. Welche Innovationen sehen Sie derzeit? Gibt es neue Entwicklungen?
Gantenbein: Der innovative Plafond ist definitiv nicht erreicht. Man kann das Rad zwar nicht neu erfinden, doch viele Marken arbeiten laufend an Entwicklung und können überraschen. Besonders bei kleinen Marken sieht man die Innovationskraft. Sie fordern traditionelle Uhrmacherkunst immer wieder heraus. Jedoch auch große Marken denken weiter. Verlassen wir kurz den Masterworks-Kontext und nehmen das Beispiel der neuen Hemmung von Rolex. Diese ist Innovation par excellence.
SL: Was kann Sie an Weiterentwicklungen noch überraschen?
Gantenbein [lächelt]: Für Überraschungen muss man immer bereit sein. Für mich sind es sicher Materialien, besondere Details oder Anzeigen. Ein Überraschungsmoment, an den ich mich gut erinnere, war, als ich das Modell Sphere von Hautlence zum ersten Mal gesehen habe. Das war beeindruckend.
SL: Was hat Sie dabei beeindruckt?
Gantenbein: Es war die neue Anzeige. Konventionelle Anzeigen funktionieren meist mit zwei oder drei Zeigern, die vom Zentrum aus, gesteuert werden. Bei der Sphere von Hautlence ist die Anzeige hingegen in einen linken und einen rechten Teil geteilt. Diese Art der mechanischen Lösung ist wirklich innovativ!
SL: Sie haben zuvor gemeint, dass Independent-Marken die klassischen Marken fordern. Was macht dabei ihren Reiz aus?
Gantenbein: Sie gehen eigene Wege, denken mutiger. Ausgerichtet auf kleinere Produktionen, müssen sie nicht die breite Masse ansprechen. Genau das schafft den typischen Independent-Spirit, der nach Lösung sucht, wonach nicht jeder fragt. Und damit sind wir wieder beim Thema Mut. Eine Marke muss bereit sein, ein gewagtes Design mit einer besonderen Komplikation zu einem bestimmten Preis umzusetzen. Genau das steht für Masterworks, für Meister bei der Arbeit.
SL: Wie wird sich das zukünftig auf das Portfolio? Wird das Sortiment an Independent Masterworks-Brands erweitert?
Gantenbein: Für sich genommen sind es kleine, feine Brands mit einer eigenen Handschrift. Unser Portfolio wird gezielt erweitert: Zu Marken wie Hautlence, Laurent Ferrier, De Bethune, H. Moser & Cie., Jacob & Co. planen wir auch einen weiteren Roll-Out mit Armin Strom. Damit ist unsere Auswahl vorerst komplett. Indem wir diese ausgewählten Independent Brands nebst den Volumen, etablierten Marken hervorheben und kuratieren, können wir unser Angebot diversifizieren und erweitern
SL: Abschließend, haben Sie ein persönliches Ritual etwa beim Anlegen einer Uhr?
Gantenbein: Ich ziehe mechanische Handaufzugsuhren nie ganz auf. Immer nur bis genau an den Punkt, dass die Reserve genug Energie hat, damit sie läuft.
SL: Weshalb?
Gantenbein: Weil es mir Freude macht, immer wieder an der Krone zu drehen und zu hören wie die Räder ineinandergreifen, das Federhaus sich aufzieht und die Feder sich spannt.
SL: Danke für das Gespräch!
Insights
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Haute Horlogerie, die hohe Kunst der Uhrmacherei, steht für handwerklich meisterhafte, oft limitierte Zeitmesser mit komplexen mechanischen Komplikationen wie Tourbillon, Minutenrepetition oder dem Ewigen Kalender.
Haute Horlogerie vereint:technisches Spitzenkönnen,
ästhetische Perfektion,
sowie traditionsreiches Handwerk mit innovativer Mechanik.
Jede Uhr ist ein Kunstwerk – nicht selten werden Einzelstücke oder streng limitierte Serien in Monaten oder Jahren gefertigt.
Olivier Gantenbein im Interview mit Silent Luxury: "Als Experten erklären wir Newcomern was Haute Horlogerie oder ein bestimmtes Modell besonders macht. Bei H.Moser & Cie, die rund 4.000 Uhren pro Jahr inklusive der Spiralen selbst fertigen oder bei Hautlence mit etwa 150 Uhren pro Jahr und bei manchen Modelle nur 28, gehen wir, auf das verwendete Material, ein."
Eine erste Vertiefung in das Thema finden Sie bei der Fondation de la Haute Horlogerie (FHH): https://www.hautehorlogerie.org/fr/ -
Die Meisterwerke der Uhrmacherkunst: Mit Masterworks präsentiert Bucherer 1888 eine sorgfältig kuratierte Auswahl außergewöhnlicher Zeitmesser – Sinnbilder höchster Uhrmacherkunst, technischer Raffinesse und stilistischer Perfektion.
Olivier Gantenbein im Interview mit Silent Luxury: "Diese Uhren sind mehr als Zeitmesser. Sie sind rare Kunstwerke, entstehen in sehr kleinen Serien und sind entsprechend exklusiv."
Vertiefende Insights: Bucherer 1888 Masterworks-Kollektion -
Was ist ein Ewiger Kalender?
Ein Ewiger Kalender – auch „Perpetual Calendar“ – zählt zu den anspruchsvollsten Komplikationen in der Uhrmacherkunst. Durch ein komplexes Räderwerk erkennt er automatisch:die unterschiedlichen Monatslängen (30/31 Tage),
den Februar mit 28 oder 29 Tagen (je nach Schaltjahr),
und berücksichtigt selbst die Ausnahme im Jahr 2100, wodurch er Jahrzehnte lang korrekt funktioniert – ganz ohne manuelles Nachstellen.
Perfekte Fusion aus traditionellem Uhrmacherhandwerk und moderner Präzision – Ein ewiger Kalender misst nicht nur Stunden, Minuten und Sekunden, sondern auch die Zyklen von Tagen, Monaten, Jahren und Schaltjahren in beeindruckender Mechanik
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Gehäuse aus Edelstahl, blaues Kautschukband mit Faltschließe
Zifferblatt: Grau, mit mehrlagigem, mattiertem Finish
Komplikationen:
– Springende Stunden auf einer rotierenden Kugel
– Retrograde Minutenanzeige
– 3D Globolight®-ElementeManufakturkaliber A80, Handaufzug
Saphirglas
Wasserdicht bis 10 ATM (100 Meter)
Die technischen Feinheiten für wahre Meister -
Gehäuse aus Edelstahl, sandfarbenes Kautschukband mit Dornschließe
Zifferblatt: Beige, sandfarbenes Fumé-ZifferblattBesonderheiten:
– Fliegendes Tourbillon
– Limitierte Auflage: 18 ExemplareManufakturkaliber HMC 804, Automatik
Saphirglas -
Gehäuse aus Titan, beigefarbenes Alligatorlederband
Zifferblatt: Beige, Email-Fumé-ZifferblattKomplikationen:
– Fliegendes Tourbillon
– Minutenrepetition
– Einzelstück (Piece Unique)Manufakturkaliber HMC 904, Handaufzug
Saphirglas
Die technischen Feinheiten für wahre Meister